Die Macht der Gewöhnung
Ein Fehler den die meisten von uns auf der Suche nach dem ganz großen Glück begehen, ist der, äußeren Lebensereignissen zu viel Bedeutung beizumessen. Seien wir doch mal ehrlich: wer von uns hat nicht schon einmal gedacht, dass er glücklich sein wird wenn er erst einmal mehr Geld oder die Beförderung bekommen hat, wenn er umgezogen ist, eine Auszeichnung gewonnen hat oder sich endlich das neue Auto leisten kann? Was wir bei dieser Rechnung nicht einkalkulieren ist schlicht und ergreifend die Macht der Gewöhnung.
Gewöhnung oder warum Lotteriegewinner nicht glücklicher sind
Wir alle haben ein angeborenes Ausgangsniveau an Glück und Zufriedenheit, einen so genannten set-point of happiness. Äußere positive oder negative Lebensereignisse können diesen set-point kurzfristig zum Guten oder Schlechten verändern, doch die Effekte sind nicht von Dauer. Schon bald kehren wir zu unserem Ausgangsniveau an Zufriedenheit zurück. Die Wissenschaft nennt dieses Phänomen „hedonistische Adaption“ oder schlichtweg Gewöhnung.
Die Autoren Brickman, Coates und Janoff-Bulman wollten es genau wissen und verglichen die Zufriedenheit von Lotteriegewinnern mit der von Menschen, die weder etwas besonders positives noch negatives erlebt hatten. Und tatsächlich: Diejenigen, die kürzlich eine große Summe Geld in der Lotterie gewonnen hatten waren bereits wenige Monate nach dem Gewinn nicht glücklicher als die Personen der Kontrollgruppe.
Klar, die erste Nacht in einem Fünf-Sterne-Hotel oder der erste Segelturn auf der Privatyacht mögen großartig sein. Aber nach der 400sten Nacht im Fünf-Sterne-Hotel kennt man das Marmorbad zu genüge, interessiert sich nicht länger für das prachtvolle Blumenarrangement auf dem Tisch und bricht auch nicht mehr in einen Freudentaumel aus, wenn man den flauschigen Bademantel nebst dazu passenden Pantoffeln in Augenschein nimmt. Kurzum: die Freude über den neuen Lebensstandard wird weniger und schließlich hat man sich an all den Luxus genauso gewöhnt, wie man früher die Ausstattung der Drei-Sterne Hotels oder Jugendherbergen gewöhnt war.
Die Studie zeigt, dass wir die Macht der Gewöhnung nicht unterschätzen sollten. Doch damit nicht genug. Die Lotteriegewinner empfanden im Vergleich zur Kontrollgruppe sogar weniger Freude an alltäglichen Erlebnissen. Offensichtlich schmälert also die Höhepunkterfahrung eines Lottogewinns nachfolgende gewöhnliche Freuden des Alltags. Solche Kontrast-Effekte tragen neben Gewöhnungseffekten dazu bei, dass Lotteriegewinner auf lange Sicht nicht glücklicher sind als der Otto-Normal-Mensch.
Gefangen in der Tretmühle steigender Erwartungen
Und noch etwas gilt es zu bedenken: Wenn wir uns an einen neuen Zustand gewöhnen, geht dies nicht nur mit verringerten positiven Emotionen einher sondern auch mit steigenden Erwartungen. Das Ideal von dem, was man für ein gutes Leben braucht steigt nämlich genau in dem Maße an, wie man sich diesem Ideal nähert.
Richard Easterlin hat dies als einer der ersten nachgewiesen, in dem er seine Versuchspersonen fragte, wie viele Güter sie derzeit besitzen würden und wie viele sie für ein gutes Leben bräuchten. 16 Jahre später stellte er ihnen dieselbe Frage. Und siehe da: Versuchspersonen die zunächst im Durchschnitt über 1,7 Güter verfügten, wünschten sich 4,4 Güter für ihren Idealzustand. Fast zwei Jahrzehnte später besaßen dieselben Personen im Durchschnitt 3,1 Güter und waren somit ihrem früheren Ideal deutlich näher gekommen. Doch nun gaben sie an, durchschnittlich 5,6 Güter für ein ideales Leben zu benötigen.
Jedes Mal, wenn wir uns einem erwünschten Zustand nähern, führen Gewöhnung und steigende Erwartungen also dazu, dass wir nicht zufriedener sind als zuvor. Auf diese Weise laufen wir immer weiter und kommen doch nie an. Die Wissenschaft spricht daher auch gerne von der „hedonistischen Tretmühle“, in der wir unserem Ziel glücklich zu werden beständig hinterherrennen – wie Hamster in einem Laufrad.
Freunde sind fürs Leben
Allerdings gewöhnen wir uns nicht an alles: Einige Lebensereignisse haben die Kraft unser Glücksniveau langfristig zu beeinflussen. Nach dem Verlust eines Ehepartners beispielsweise, schwerwiegenden Krankheiten oder Langzeitarbeitslosigkeit kehren wir nie wieder vollständig zu unserem Ausgangszustand zurück.
Und dann gibt es da noch diese Ereignisse, die selbst nach vielen Jahren nichts von ihrem positiven Effekt einbüßen. Dazu gehören sämtliche Aktivitäten die wir aus intrinsischer Motivation verfolgen. Einen guten Freud zu treffen ist immer wieder aufs Neue belohnend, denn die positive Erfahrung wird mit jedem weiteren Konsum erneuert. An gute Freunde gewöhnen wir uns also glücklicherweise nie!
Und was lernen wir daraus?
Während die meisten Lebensereignisse über die Zeit ihren anfangs positiven Einfluss auf uns verlieren, steigern Aktivitäten die man um ihrer selbst Willen ausführt immer wieder aufs Neue unser Glück. Anstatt auf die Beförderung sollten wir also lieber auf unsere sozialen Beziehungen setzen. Denn sie sind Quellen beständiger Zufriedenheit. Wer sein Glück hingegen von Auszeichnungen, Jobpositionen oder Gehaltszahlungen abhängig macht, setzt aufs falsche Pferd. Denn die Macht der Gewöhnung und unsere steigenden Erwartungen sorgen dafür, dass wir nie ankommen – am Ziel unserer Träume.
salzstart
Posted at 09:24h, 12 MaiHallo,
gibt es auch (belegte) positive Lebensereignisse, die den set-point nachhaltig beeinflussen?
Wieso hat der Arbeitsplatzverlust so einen starken Einfluß, wenn die äußeren Bedingungen nur mit 10% zum swb (subjective well being) beitragen?
Die Gene und/oder frühkindlichen Prägungen gehen mit 50% in den swb set-point ein. Durch bestimmte Verhaltensmaßnahmen kann frau 40% beeinflussen. Sprich:
Halten sich fördernde und abschwächende Verhaltensweisen die Waage, dann bin ich bei der „kaum zu beeinflussenden“ Qualität der Zufriedenheit angelangt. Richtig?
lg
micca
Katharina Tempel
Posted at 12:17h, 13 Mai@ Micca
positive Lebensereignisse, die den Set-point nachhaltig beeinflussen sind mir bisher nicht bekannt. Wenn ich über eins stoßen sollte, geb ich Bescheid.
Grundsätzlich haben Lebensereignisse nur einen geringen Einfluss auf unsere Zufriedenheit. Bis vor wenigen Jahren glaubte man, dass unabhängig davon, was einem auch schlimmes oder gutes passieren würde, unser Glücksniveau sich immer wieder einpendeln würde. Jetzt ist man schlauer, nachdem festgestellt wurde, dass z.B. Langzeitarbeitslosigkeit doch von solcher Stärke ist, dass es unser Wohlbefinden dauerhaft beeinträchtigen kann. Das heißt aber nicht, dass es immer so sein muss. Hier kommen wieder individuelle Faktoren ins Spiel, die diesen potenziell negativen Effekt auch auffangen können.
Von daher würde ich auch nicht unbedingt davon sprechen, dass sich fördernde und abschwächende Faktoren die Waage halten, sondern dass wir die Möglichkeit haben negative Gegebenheiten abzuschwächen oder abzuändern und positives auszubauen. Und das ist doch schon mal was…
Liebe Grüße, Katharina
salzstart
Posted at 11:44h, 14 MaiHi Katharina,
nachgefragt, nachgehakt.
Wie ermittelt man den „Wert“ des set-points?
Ist dies nur ein theoretisches Modell oder zum veranschaulichen, oder wurde der set-point schon mal quantitativ ermittelt?
lg
micca
Katharina Tempel
Posted at 21:11h, 15 MaiLiebe Micca,
der set-point stellt ein theoretisches Modell dar und soll lediglich verdeutlichen, dass wir alle mit einem unterschiedlichen Ausgangsniveau „ausgestattet“ sind. Die Angaben der einzelnen Anteile, die diesen set-point beeinflussen, beruhen aber natürlich auf Studienergebnissen. Die Zahlen zum genetischen Einfluss beispielsweise stammen aus Zwillingsstudien, in denen mehrfach Erblichkeitsschätzungen um die 50% ermittelt wurden.
Beantwortet das deine Frage?
LG, Katharina
salzstart
Posted at 12:22h, 17 MaiHallo Katharina,
sind diese Anteile am set-point spezifisch für den swb/happiness ermittelt worden? Oder hat man da extrapoliert (von anderen Eigenschaften/Charakterzügen)?
lg
micca
Katharina Tempel
Posted at 13:24h, 21 MaiLiebe Micca,
die Anteile am set-point wurden spezifisch für das SWB ermittelt.
LG, Katharina
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christa jenke
Posted at 14:58h, 02 April‚Glück‘ könnte bedeuten, dass man sich z..B. für andere Menschen – und vor allem für die vom Menschen ausgebeuteten und gequälten Tiere -einsetzt und dass man durch entsprechende Aktivitäten den ‚lieben‘ Mitmenschen dieses bewusst macht. Egoismus, Neid, Wurschtigkeit etc. sind zu vermeidende Eigenschaften. Mitmenschlichkeit und Tierliebe sollten an erster Stelle stehen. Bei entsprechendem Verhalten kann man sich glücklich fühlen, Es ist so einfach, ein „guter Mensch“ zu sein oder zumindest zu werden!
Katharina Tempel
Posted at 10:44h, 03 AprilZu helfen macht tatsächlich glücklich. Allerdings scheinen sich glückliche Menschen auch mehr zu engagieren, also von sich aus helfen zu wollen.
Liebe Grüße,
Katharina
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